Freitag, 18. November 2011

Winter

Schließe jetzt die Lider, wer Augen hat
aus aufgebrochenen Tagen, wie reife Früchte
im Sommer auf den Gartenwiesen.
Halten wir den Duft in Erinnerung, die Farben in uns,
den alten Zaun, dahinter gelbe Felder.
Jetzt liegt alles brach. Still werden wir.
Wir sind der Winter,
seine Kerzen.

Dienstag, 15. November 2011

Es sollte wärmer sein

Es sollte wärmer sein, sage ich mir, während ich die Heizung überdrehe. Da waren irgendwo Fenster, aber vielleicht auch nicht. Ich sehe nichts als Vorhänge, rot. Es sollte warm sein. Die Fenster sind weit offen. Ich weiß das nicht. Ich zähle Blumen. Ich male eine, zwei, drei. Rot, Blau, Rot, Blau. Ich zähle Blumen.
Das muss doch heißen, dass ich noch nicht erfroren bin.

Da ist diese Melodramatik, die durch die Zimmer schleicht. Zum Beispiels nachts: Ich kann nicht schlafen, denn sie sitzt auf meiner Brust und schlingt die Arme um mich. Manchmal weiß ich nicht,ob sie mich erwürgen will, oder umarmen. Vielleicht beides. Ich stehe auf und übergebe mich. Ich esse Brot und lege mich hin. Ich denke, dass die Welt ein Spielplatz ist und dass ich wieder Kind sein sollte, dann wäre es leicht! Also bin ich Kind und wackel mit den Zehen, während ich großartige Ideen habe. Wie ich liebe und loslasse, liebe und loslasse. Ich be-greife die Liebe. Ich bin glücklich. Stark. Zehn Minuten lang. Dann stehe ich auf und übergebe mich. Ich esse Brot, ich trinke Tee. Mir ist kalt. Ich überdrehe die Heizung.
Wenn ich doch nur die Fenster...

Es sollte wärmer sein.

Montag, 14. November 2011

Wind schleicht durch die Stadt,
wer ließ die Tore offen?
Kein Licht, das letzte: Ein Fenster
schlägt ins Haus.
Der Schnee glitzert nicht.
Die Hunde laufen das Pflaster warm.
Man schläft.
Es zieht.

Sonntag, 13. November 2011

Blumen

Schon leise sind die Wiesen, deren Lachen
sich im Sommerwind gewiegt.
Es wischt die Welt sich aus der Welt heraus.
Man wusste von der Abreise der Blumen.

Es wird die Jahresnacht. Kaum hellt es,
geht das Licht sich schon verloren.
Es treibt uns in uns.
Bald scheint ein Lachen unter warmem Dach.
Dann wird es Winter sein und es klingen
die Scheiben in Vorfreude.
Man weiß von der Ankunft der Blumen.

Dienstag, 1. November 2011

Aufgabe (Günter Kunert)

Die Hoffnung aufgeben
wie einen Brief ohne Adresse
Nicht zustellbar
und an niemanden gerichtet

Wie eine Last
Wie jener Marmorblock
der mir immer aufs neue entglitt
bis ich einsah es sei
kein Sinn in der Mühe
ihn wieder und wieder
auf mein besseres Wissen zu wälzen

Eine unheilbare Hoffnung
durch Schmerz zum Schluß
unerträglich
ein eingewachsener Fremdkörper
verkrustet und knochenhart
Unding
das mir nicht gehört und dem ich
nicht gehören will

Die schwerste Aufgabe ist:
aufgeben können
Wer mit der Hoffnung anfängt
hat seine Lektion schon
gelernt.